Jahresempfang der Wirtschaft 2024 (bei SITECO)
„Wir haben Putin falsch eingeschätzt“ – Jahresempfang der Wirtschaft mit Gastredner Wolfgang Ischinger – Verhandlungslösung im Ukrainekrieg frühestens zum Jahresende erwartet
Mit dem Slogan „Eine starke Gemeinschaft“ wirbt der Wirtschaftsverband Landkreis Traunstein. Den Eindruck konnte man auch beim Jahresempfang gewinnen, der am Mittwoch Abend nach 2023 erneut in den Betriebsräumen der Firma Siteco in Traunreut stattfand. Man kennt sich, schätzt sich, es bestehen starke, konstruktive Verbindungen zwischen den anwesenden Vertretern aus Wirtschaft, Behörden, Verwaltung, Organisationen und Entscheidungsträgern wie der umfassende Dialog unter den knapp 400 geladenen Gästen des Wirtschaftsverbandes und den mitwirkenden Verbänden zeigte. In diesem Jahr stand das Thema „Sicherheitspolitik in und um Europa 2024“ auf der Agenda zu dem man sich mit dem ehemaligen Vorsitzenden der Münchner Sicherheitskonferenz, Prof. Dr. h.c. Wolfgang Ischinger einen prominenten Redner eingeladen hatte, dem Wirtschaftsverbands-Vorsitzender Thomas Eberl eine Zeitungskopie einer amerikanischen Tageszeitung zu seinem kürzlich gefeierten Geburtstag als Überraschungsgeschenk überreichte.
Traunreuts 1. Bürgermeister Hans-Peter Dangschat zeigte sich stolz, dass man zum zweiten Mal bei einem „Top Player der Region“ in Traunreut zu Gast sei und ein „großes, tolles Format“ präsentiere. Landrat Siegfried Walch machte dem Gastreferent Professor Dr. h.c. Wolfgang Ischinger fast schon im Stil eines Tourismus-Werbers stolz deutlich, dass er sich „im schönsten Landkreis Bayern und der Welt!“ befinde und lobte die wirtschaftliche Stabilität der Region in schwierigen Zeiten. Diese komme nicht von ungefähr, lebe man in der Region und in den Firmen Werte wie Fleiß, Mut, Verantwortungsbewusstsein und nachhaltiges Handeln über Generationen – Gewinnstreben inklusive. Er machte deutlich, dass Freiheit und Sicherheit Grundlagen für den Wohlstand der Menschen in der Region sei.
„Russland hat den Krieg eigentlich verloren!“
Gastredner Professor Dr. h.c. Wolfgang Ischinger, zu dessen politisch-diplomatischen Werdegang viele Tätigkeiten wie beispielsweise der eines Staatssekretärs im Außenministerium und Botschafter in den USA und Großbritannien gehören, ging in seinem Vortrag unter der Moderation von Markus Pertl (Siteco) auf die Rede von Wladimir Putin ein, die dieser 2007 bei der Münchner Sicherheitskonferenz mit dem Motto „Ich lass mir das von dem Westen nicht mehr gefallen“ gehalten habe. Man habe zuvor mit ihm gut zusammen gearbeitet und ihn in den Folgejahren aber nicht wirklich ernst genommen. „Wir haben Putin falsch eingeschätzt!“ war sein nüchternes Fazit.
Er machte deutlich, dass sich der russische Präsident in den Jahren seiner Regierungszeit verändert habe, Putin strebe heute die Wiedererrichtung eines großrussischen Reiches mit Vasallen- und Pufferstaaten an. Gleichzeitig sei die russische Zielsetzung der Unterwerfung der Ukraine nicht haltbar und militärisch praktisch nicht zu erreichen. „Russland hat den Krieg eigentlich verloren!“ zog er ein nüchternes Fazit. Er finde es vollkommen richtig, dass Deutschland „kriegstüchtig“ werden müsse (Originalton Boris Pistorius, Bundesverteidigungsminister). Diese Eigenschaft sprach er Deutschland derzeit ab, dies gelte auch für die Europäische Union.
Zu China machte er die Feststellung, dass das Land bis noch vor wenigen Jahren über zwei Jahrhunderte keine weltpolitische Rolle gespielt habe. Jetzt müsse man sich damit auseinandersetzen dass das Land bei der Lösung der Konflikte in und um Europa eine Rolle spiele. Er machte deutlich, dass China – auch historisch gesehen – kein Freund Russlands sei. Dennoch sei der Fokus Chinas darauf gerichtet in ihrer Rivalität mit den USA den Amerikanern keinen Vorteil zu verschaffen. „Die sind happy wenn die USA mit Konflikten beschäftigt sind!“.
Ziel Europas: Friedensmacht werden
Der frühere Chefdiplomat nahm sich viel Zeit, mit den Anwesenden zu diskutieren und ihnen seine Einschätzung zu persönlichen politischen Standpunkten weiterzugeben.
Ischinger ermutigte die Anwesenden zum Abschluss seiner Ausführungen zur Europawahl am 9. Juni diesen Jahres zu gehen und für die Beteiligung daran zu werben. Er hoffe, dass es keinen größeren Rechtsruck gäbe. Das Ziel sei, dass Europa als „Macht des Friedens“ stehe und reife. Derzeit agiere man – am Beispiel der UN-Abstimmung mit der Forderung einer Waffenruhe zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas im letzten Jahr erläutert – wie „wilde Hühner“ und verstehe es nicht, außenpolitisch mit einer Stimme zu sprechen. Das Attest von „Zwergenstaaten“ müsse man Europa ausstellen, wenn man die Einzelkämpfer mit den großen Nationen und Machtblöcken vergleiche.
Bei Folkrock von Baeck in Town und dem parallel übertragenen Champions League Spiel des FC Bayern München gegen Arsenal London standen die Anwesenden noch lange zusammen, vertieften alte und knüpften neue Kontakte. (Text und Fotos: Andreas Wittenzellner)